Tyrannis: Peisistratos

Tyrannis: Peisistratos
Tyrannis: Peisistratos
 
Misst man Solons Reformen an seinem Ziel, der innenpolitischen Konsolidierung Athens, so sind sie gescheitert: Soziale Missstände wie die Not der Kleinbauern waren nicht beseitigt, der Machtkampf des Adels um das Archontat tobte in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. heftiger denn je. Nach der Überlieferung standen sich im innenpolitischen Kampf drei Gruppen gegenüber, die von den Adeligen Lykurg, Megakles und Peisistratos geführt wurden. Gestützt auf seine Anhängerschaft, Kleinbauern und Tagelöhner aus Ostattika und große Teile des Volks von Athen, die ihm in der Volksversammlung eine Leibwache bewilligte, ergriff der durch den Krieg gegen Megara (565) populäre Peisistratos 561/60 die Herrschaft in Athen, die er nach zweimaliger Vertreibung erst mithilfe auswärtiger Söldner dauerhaft etablieren konnte (539/38).
 
Der Tyrann ließ die geltende Polisverfassung bestehen, die höchsten Ämter blieben seiner Familie und Adligen, die sich seiner Herrschaft unterordneten, vorbehalten. Opponierende Adlige wurden zum Teil verbannt oder gingen ins Exil. Peisistratos' faktische Macht beruhte auf Söldnertruppen und ausländischen Verbündeten. Seine bedeutendsten Leistungen waren: die offenbar gegen Reste der Adelsgerichtsbarkeit gezielte Einsetzung von lokalen Richtern, die großzügige Unterstützung der Kleinbauern durch Darlehen, die Gründung neuer Kolonien und eine umfangreiche Bautätigkeit. Auch wenn es sich hierbei um Maßnahmen zur Herrschaftssicherung gehandelt haben mag, so liegt dennoch die historische Bedeutung der Tyrannis des Peisistratos in der sozialen und ökonomischen Konsolidierung Athens, das in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Blüte erlebte.
 
Nach dem Tod des Peisistratos 528 oder 527 übernahmen seine Söhne Hipparchos und Hippias die Herrschaft. Hipparchos wurde 514 aus persönlichen Gründen von den später als Tyrannenmördern verklärten Harmodios und Aristogeiton umgebracht, sein Bruder Hippias 510 gestürzt.
 
Auch in anderen griechischen Poleis etablierten sich im 7. und 6. Jahrhundert bedingt durch die Legitimationskrise des in Machtkämpfen verstrickten Adels, die steigenden sozialen Spannungen und die Emanzipationsbestrebungen der bäuerlichen Mittelschicht Tyrannenherrschaften. Am bekanntesten sind die Tyrannen Kypselos (660-28) und Periander (ca. 628-587) von Korinth, Kleisthenes von Sikyon (erstes Drittel des 6. Jahrhunderts), Lygdamis von Naxos (ca. 545-24) und Polykrates von Samos (538-22).
 
Man wird dieser »älteren Tyrannis« im Gegensatz zur »jüngeren Tyrannis« des 4. und 3. Jahrhunderts nur gerecht, wenn der Tyrann nicht nur als machtgieriger Adliger, sondern auch als Werkzeug des aufbegehrenden Volkes gesehen wird. Die historische Funktion der Tyrannis war es, den Übergang von der Adelsherrschaft zum Verfassungsstaat der Hopliten, der waffenfähigen Bürger, zu ermöglichen. Die negative Bewertung der Tyrannis als Gewaltherrschaft und schlechteste aller Verfassungen ist historisch unzutreffend und beruht größtenteils auf späterer Überlieferung, die diese Herrschaftsform an der Demokratie des 5. Jahrhunderts maß.

Universal-Lexikon. 2012.

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